Eine Ode an die Korkeiche
Sie ist knorrig, hat einen bis zu einem Meter dicken Stamm mit graubrauner Borke und eine Krone aus immergrünen Blättern, die aussieht wie ein riesiger Schirm. Ihr verdankt sie den Namen „Sonnenschirm“. Genau genommen heißt sie Korkeiche oder botanisch „Quercus suber“. Ihren Namen hat sie von den dicken Korkschichten des Stammes. Sie gehört zur Gattung der Eichenbäume und ist doch ein ganz besonderes Gewächs ihrer Art: Sie ist der einzige Baum, dessen Rinde man vom Stamm ablösen kann, ohne dass der dabei zu Schaden kommt. Die Korkeiche ist, kurz gesagt, unverwüstlich! Und im Leben der Portugiesen spielt sie seit Generationen eine große Rolle und das nicht nur als Ausgangsmaterial für Weinkorken.
Wo stehen Korkeichen in Portugal?
Die Korkeiche gehört in Portugal seit mehr als tausend Jahren zur nationalen Kulturidentität. Weiträumige Korkeichenwälder, so genannte „Montado“, bestimmen das Landschaftsbild im Süden Portugals. Vor allem an der Algarve und im Alentejo wächst der robuste Baum seit jeher und bedeckt eine Fläche von etwa 750.000 Hektar. Das größte Anbaugebiet liegt im Alentejo, der Region „Jenseits des Tejo“, des Flusses, der das Alentejo prägt. Auch entlang der Küstenlinie der Algarve finden sich Korkeichenplantagen, wie etwa bei São Brás de Alportel. Die 15 Kilometer nördlich von Faro gelegene 10.000-Einwohner-Stadt ist ein Zentrum der portugiesischen Korkindustrie. In den Wäldern der angrenzenden Bergregion Serra do Caldeirão wird ein qualitativ sehr hochwertiger Kork gewonnen, man sagt sogar, es sei der beste der Welt.
Kork - ein Generationenprojekt
Für die Menschen im Süden Portugals ist Kork ein wichtige Lebensgrundlage. Die Region Alentejo macht etwa ein Drittel der Fläche des Landes aus und doch leben hier nur sieben Prozent der portugiesischen Bevölkerung. Die Korkeichenplantagen sichern den Menschen die Existenz - sie stehen für die Waldarbeiter für ein jährliches Zusatzgehalt. Für die Enkel des Waldbesitzers ist die Korkeiche eine solide, nachhaltige Existenzsicherung. Denn Korkeichen kultivieren ist ein Generationenprojekt. Nach der Pflanzung benötigt der Baum mindestens 30 Jahre bis er zum ersten Mal geschält werden kann. Denn die Baumrinde wächst pro Jahr nur zwischen 1 und 1,5 Millimeter. Qualitativ guter Kork wird ab dem 50. Lebensjahr einer Korkeiche geerntet. So pflanzt der Waldbauer am Ende Eukalyptus für seine Existenz, Kastanien und Kieferbäume für seinen Sohn - und Korkeichen für seine Enkel.
Ökologische und ökonomische Bedeutsamkeit
Aber Korkeichenwälder sind nicht nur ein Wirtschaftsfaktor. Sie tragen zur Regulierung des Wasserhaushalts und zum Schutz der Böden bei und beugen so der Versteppung der Region im Süden Portugals vor. Der immergrüne Laubbaum ist außerdem in der Lage einen erheblichen Teil des Treibhausgases Kohlendioxid aufzunehmen. Mit knapp 1,5 Hektar Korkeichenwald lässt sich der jährliche CO2-Ausstoß eines Mittelklassewagens ausgleichen.
Unersetzlich sind die Korkeichenwälder für die Flora und Fauna im Süden Portugals. So entstand in der Abgeschiedenheit der Kulturlandschaft der „Montado“ einer der wertvollsten und artenreichsten Lebensräume, die es in Europa gibt. Durch die Wasserverdunstung der Blätter und den Schatten der Eichen entsteht ein Kleinklima, in dem neben einer großen Vielfalt von Pflanzenarten eine Reihe einzigartiger und geschützter Tierarten, wie zum Beispiel die Wildkatze, der iberische Luchs (die weltweit am stärksten bedrohte Raubkatzenart), und Stein-, Schlangen-, Zwerg- und Habichtsadler leben. Der besonders im Alentejo spürbare Klimawandel ist Grund genug, die Kulturlandschaft der Korkeiche zu bewahren. Denn die Sahara streckt ihre Fühler immer weiter nach Europa aus und die Vorboten der Wüstenbildung zeigen sich im Alentejo in lang anhaltenden Hitzewellen und Dürrezeiten, die von Jahr zu Jahr intensiver auftreten.
Ein Klima, das gerade Korkeichen gut aushalten. Sie stellen kaum Ansprüche an den Boden, vertragen Dürre und halten Temperaturen bis zu 40 Grad locker aus. Auch Kälte macht ihnen nichts aus, allerdings mögen sie keinen Frost. Die dicke Borke ist ihr Schutz vor allen Übeln und sie hilft ihr, sich sogar nach Buschbränden wieder zu erholen und aufs Neue auszutreiben. Eine regelmäßig abgeerntete Korkeiche wird sogar resistenter gegen Feuer.
Wie wird Kork geerntet?
Zum ersten Mal wird die Borke der Korkeiche geschält, wenn der Baum etwa 30 Jahre alt ist. Dann ist die Rinde des Baums, der eine durchschnittliche Wuchshöhe von 10 bis 20 Metern erreicht und mit einem Stammdurchmesser von bis zu einem Meter glänzt, dick genug. Vom Stamm lösen kann man Kork nur in der Zeit zwischen Mitte Mai und Ende Juli, wenn zwischen Stamm und Schwamm ein Vakuum entsteht. Auch zum richtigen Erntezeitpunkt braucht man für die Korkernte Fingerspitzengefühl. Denn wird der Stamm verletzt, wächst die Borke nicht mehr nach oder der Baum stirbt schlimmstenfalls ab. Deshalb wird Kork wie eh und je in Handarbeit geerntet und wie das geht, das kann man in keiner Schule lernen. Die Waldarbeiter finden dazu braucht es keine Bücher, sondern allein die Liebe zum Baum und zu Mutter Erde. So werden die Kenntnisse des seltenen Handwerks von den Vätern zu den Söhnen weitergegeben.
Die Portugiesen nennen ihren Kork „Sobreiro“ und von ihm wird pro Erntejahr nie mehr als maximal ein Drittel vom Baum geschnitten. Diese Korkrindenstücke sind etwa 1,30 Meter hoch und heißen „Prancha“. Innen haben sie eine feine Kapillarstruktur, die den Korkschwamm am Stamm festhält, außen die knorrig gewachsene Borke. Dazwischen liegt der Korkschwamm mit seiner einzigartigen Struktur. Je älter der Baum, desto dicker, dichter, weicher und gleichmäßiger ziert die filigrane beigefarbene Struktur den Schwamm und umso höher ist sein Wert. Eine einzige Korkeiche liefert etwa 100 bis 200 Kilogramm Kork pro Ernte.
Frisch geschält, glänzt der Stamm tonerdenrot und es scheint, als trügen die Bäume rote Socken. Eine Zahl, die auf einen Ast gepinselt wird, verrät wann der Baum wieder erntereif ist. Erst in rund zehn Jahren ist die Borke wieder dick genug und der Kork kann erneut geerntet werden. Diese Prozedur geschieht in der Regel viele Male im Leben einer Korkeiche, die am Ende ein staatliches Alter von 150 bis 200 Jahre erreichen kann. Exemplare, die nicht beerntet werden, können sogar über 400 Jahre alt werden.
Kork, der Alleskönner
Die von den Korkeichen abgelösten Borken werden im Anschluss ein Jahr getrocknet, bevor sie weiterverarbeitet werden. Mit Hochtechnologie wird der Korkschwamm dann zuerst von der Borke befreit, begradigt und anschließend zu ganz verschiedenen Produkten weiterverarbeitet.
Portugal ist der weltgrößte Korkproduzent und die Rinde der Korkeiche ist eines der ältesten Exportprodukte des Landes. 50 Prozent der Kork-Weltproduktion kommt von hier und längst werden nicht nur mehr Korken für Weinflaschen aus dem außergewöhnlich strapazierfähigen und vielseitig verwendbaren Material produziert. Aus dem qualitativ hochwertigsten Kork entstehen Flaschenkorken. Die zweite Wahl wird zu Fußbodenkork oder zu Tapeten verarbeitet. Die dritte Wahl, also die Reste aus der Herstellung der anderen Güter, und der so genannte Jungfrauenkork aus der ersten Ernte der Bäume wird geschreddert und zu Granulat verarbeitet. Das wird unter anderem in der Bauindustrie genutzt, als alternativer und nachhaltiger Naturstoff, der in Neubauten für gesundes Raumklima sorgt und in Theatern für eine hervorragende Akustik. Gepresst wird das Granulat auch als Fußbett für Sandalen genutzt. Rund 190.000 Tonnen Kork wird am Ende in Fabriken in Lissabon und im Norden des Landes verarbeitet. Und das seit Generationen.